Besonnene Ruhe und geheimnisvolle Elfen gehören zur Kultur – aber auch allerfeinster Zauber-Powder.
„Weißt du Vil, in Island gibt es keinen Zeitplan, alle Dinge passieren hier einfach“, erzählt Björn Ingason, Guide für Skitouren, Heli-Skiing und studierter Fischer. Er und Paul Held führen unsere Gruppe direkt vom tiefblauen Meer auf die vom Gletschereis geschliffenen Gipfel rund um Olafsfjördur – ein romantisch verschlafenes Dorf im Norden von Island.
Island ist ganz schön (anders)
„Im Sommer bin ich Fischer. Im Winter arbeite ich als Guide in den Bergen“, erzählt Björn. Er schiebt sich eine Portion Snus unter die Lippen, zieht sich seine Handschuhe an, wir gehen los. Skitouren in Island um Olafsfjördur werden zwar immer beliebter, sind aber noch ein Geheimtipp für Aussteiger auf Zeit. Die ersten Höhenmeter trotten wir gemütlich hinauf. Der Pulverschnee schreit jetzt schon nach Abfahrt. Was typisch für die Isländer sei, will ich wissen. „Es gibt selten einen genauen Terminplan. Alle Dinge passieren hier einfach“, beschreibt Björn die Grundhaltung in der Gesellschaft. Das klingt locker. Ich kenne und lebe den Organisationswahn der Österreicher oder der Deutschen mit viel Strukturen und allesdurchdringender Planung. „Bei euch muss Ordnung sein!“, lacht Björn. Scheinbar funktioniert es auch ohne. Vielleicht zieht es Escapisten deshalb so sehr hierher, dorthin wo alles etwas entspannter ist. Nach einer Spitzkehre erzählt er amüsiert: „Eine Armee mit Soldaten gibt es bei uns nicht. Für Bitte und Danke haben wir quasi nur ein Wort. Zu uns kommen 13 Weihnachtsmänner statt nur einer.“ Was Björn nicht gesagt hat: Islands Männer emanzipieren sich gerade gegen das giftige Stereotyp Mann; sie wollen öffentlich weinen dürfen, auch mal schwach sein und sich um ihre Kinder kümmern. Es ist hier viel anders, aber schön anders.
Durch die größte Wüste Europas
Auf einem Plateau machen wir Pause und trinken eine Tasse Tee. Der Gipfel liegt vor uns, das Meer hinter uns. Paul und Björn besprechen die weitere Route der Skitour, aber für einen Scherz sind selbst die wortkargen Wikingernachfahren zu haben: „Wie findet man in Island aus einem Wald heraus?“, fragt Björn in die Runde. Wir schweigen erwartungsvoll. „Man muss nur aufstehen!“ lacht er. Ich grüble kurz. Ja, es gibt hier keine Bäume, oder nur wenige. Die Insel ist damit die größte Wüste Europas. Nicht etwa das raue Klima, sondern die Wikinger Norwegens im 9. Jahrhundert waren dafür verantwortlich: Siedlungs-, Schiffsbau und eingeführte Borkenkäfer haben den Wald dahingerafft. Island wurde also von Skandinavien aus besiedelt. „Wir sprechen daher ein altes Norwegisch und verstehen die Schriften der Wikinger aus dem damaligen Norwegen oder Dänemark“, betont Björn.
Tafelberge und Trolle
„Wie sind die vielen Tafelberge entstanden?“, will jemand aus unserer Gruppe wissen, als wir gemütlich weiter stapfen. „Die Landmasse Islands ist relativ jung, wurde von Gletschern geformt und ist daher kaum erodiert“, antwortet Björn. Vulkane und Berge sind deshalb rund und breit. Der flache Gipfel, auf den wir gehen, kommt uns ein Stück näher.
„Da, ein Troll!“, rufe ich. Der Einzige, der lacht, ist Björn. Was die anderen noch nicht wissen: Viele Isländer leben mit der Kultur der Trolle, Elfen, Feen und Gnome. „Eigene Elfenbeauftragte, die in Elfenschulen ausgebildet werden, beraten beim Straßen- und Tunnelbau“, schmunzelt Björn. Es kann schon passieren, dass ein Baustopp erzwungen wird, damit die Elfen umziehen können – so sehr werden sie respektiert und so sehr sind sie im Bewusstsein verankert: 60% der Isländer glauben an ihre immer unsichtbaren Mitbewohner, besagt jedenfalls eine Studie.
Am Gipfel der Gleichmut
Fast gemeinsam erreichen wir unseren Gipfel. Genussvoll einatmen. Erleichtert ausatmen. Ich staune über die Aussicht aufs Meer, die schnee- und eisbedeckten Berge, die sich ins Unendliche erstrecken. Unglaublich schön. „Berg Heil!“, reicht mir Björn seine Hand. Alle brüllen. „Das hat er wohl in einer österreichischen Gruppe aufgeschnappt,“ mutmaßt Paul. „Takk fyrir leiðsögnina upp á toppinn!“, grinse ich, was so viel heißt wie: „Danke fürs Guiden!“ Das habe ich vor der Reise extra gegoogelt. Beide sind wir beeindruckt. So läuft Völkerverständigung. Ich atme nochmals tief durch, keiner spricht mehr ein Wort. Über allen Gipfeln ist Ruh, heißt es in einem Gedicht von Goethe. In Island ist es wohl ruhiger als ruhig, mystisch und magisch zwischen Feuer und Eis. „Alltag, ich brauche dich sobald nicht mehr!“, denke ich mir und mache mich für die Abfahrt fertig.
Objekt der Begierde sind nicht die Wellen, sondern der Surfer. Unser Pärchen. Foto: Vil Joda
Pulver, Powder, Lausamjōll
„Bei dem Schnee bekomme ich lange Zähne “, freut sich Paul, der seine Powder-Latten anschnallt. Er und Björn erklären uns gewissenhaft, wo wir sicher abfahren sollen, bevor sie ein paar elegante Schwünge voraus ziehen. Es braucht ein bisschen Zeit, bis wir alle unten ankommen, jeder und jede mit unterschiedlichem Skikönnen. Die zwei warten daher stets geduldig bei jedem Stopp. In Island hat es niemand eilig. Die Abfahrt ist fantastisch, jeder malt seine eigene Spur in den flockigen Zauber-Powder. Lausamjōll ist übrigens das isländische Wort für Pulverschnee.
Jedes Mal eine mit Powder durchstaubte Abfahrt. Foto: Paul Held.
Chillen, Musik und Gesang am Abend
Im Haus, in dem wir wohnen, gehen die ersten duschen. Ein Pärchen kümmert sich ums Essen: Es gibt fangfrischen Fisch, den uns Björn mitgebracht hat. Ich setze mich aufs Sofa, streame Starálfur von Sigur Rós gefolgt von Human Beaviour von Björk und schraube mir bei diesen sphärischen Klängen ein Arctic Pale Ale rein. Auf der anderen Seite des Fensters, aus dem ich schaue, liegt das Meer, in dem das verschneite Felsmassiv versinkt. So habe ich mir das Island-Feeling vorgestellt. Auch etwas Snus gehört dazu, das mir Björn pflichtbewusst mit einem Nicken reicht. Er fragt nicht, ob ich probieren möchte, er geht davon aus. Zwischen Oberlippe und Oberkiefer stecke ich mir das kleine Beutelchen mit Lutschtabak. „Schmeckt salzig und scharf. Interessant!“, sage ich. Björn mustert mich ungläubig.
Es klopft an der Tür. Gunnlaug gesellt sich mit einem fröhlichen Lachen zu uns, eine Freundin von Björn, die ebenso Fischerei studiert hat. Die junge Frau ist neugierig und interessiert sich, wer aller so ihr Land besucht. Paul serviert einen Teller Nudeln als Vorspeise, bevor ich den Fisch in Salzkruste anrichten darf. Wir essen gemeinsam, verkosten Björns selbstgebrannten Schnaps, ich vertiefe also meine Völkerverständigung. Langsam öffnen sich meine Reisefreunde: Der eine im schwarzen T-Shirt ist ein erfolgreicher Architekt, der andere mit Pagenschnitt ein kreativer Texter, ganz eine andere gibt sich als Erzieherin zu erkennen: ihre hätschelnder Ton verrät sie. Ein geselliger Typ im grünen Strickpulli und in Jogginghose ist gar ein Universitäts-Professor für Mathematik. Alle vereint uns diese eine Lust am Abenteuer, die wir eine Woche serviert bekommen, gleich wie den Salat, den die junggebliebene mütterliche Dame in Pension sorgsam zu Tisch trägt.
Björn schenkt jedem (!) gewissenhaft nach. So rutschen wir gemütlich in den Abend hinein und es wird dunkel, ohne dass es jemandem auffällt. Rote Wangen. Später singt Gunnlaug ein Lied der Band „Hjálmar“ mit dem Titel „Borgin“; Björn hat sie darum gebeten. Es erzählt von einem Licht, das uns durchs Leben führt und eine Stadt erhellt. Wir hören ihr zunächst höflich zu und werden gleich unverhofft sprachlos. Von dem, was sie singt, verstehen wir nichts, aber niemand hat mit ihrer ausdrucksstarken Stimme gerechnet. Pauls Mund steh weit offen, meiner auch. Schweigen. Applaus! Björns feuchte Augen verraten etwas.
So vergeht einer der vielen Abende. Jeder Tag beginnt nach dem Frühstück mit einer Skitour und geht nach einer mit Powder durchstaubten Abfahrt direkt in eine gesellige Kochrunde über. Bald haben wir uns unter für eine Woche portionierten Freunden sehr viel zu sagen; schnell sind wir einander vertraut. Zu kurz ist leider die Zeit, die wir gemeinsam auskosten dürfen. Island, ich komme wieder.
Das braucht ihr für eure Skitouren in Island
Genug Kondition für ca. 1.000 Höhenmeter Aufstieg solltet ihr mitbringen. Mit ein bisschen Geduld kommt aber jeder durchschnittlich trainierte Skitourengeher an sein Ziel. Routine in Spitzkehren und sicheres Ski fahren bei anspruchsvollen Bedingungen sind Plicht. Darüberhinaus dürft ihr euch einfach nur noch entspannt zurücklehnen, Paul organisiert den Rest – nur auf den Berg gehen müsst ihr selbst.
Was wir außerdem in Island getrieben haben, gibt es in dieser Geschichte zu lesen: Skitouren zwischen Feuer, Eis und schrulligen Menschen
Zu den nächsten Terminen von Paul Helds Skitouren in Island geht es hier.